Im Urwald von Thailand
Thailand hat Besuchern mehr zu bieten als Traumstrände, historische Tempelanlagen und
Rotlichtmeilen. Im Landesinnern findet man die artenreichsten Urwälder Asiens. Doch der
Dschungel ist nicht nur ein Naturparadies, sondern auch ein Dickicht für Wilderer und Frevler.
Thailand besitzt auf über 10% der Landesfläche rund 130 Nationalparks mit unterschiedlichem
Schutzstatus. Der 1962 eröffnete Khao Yai Nationalpark ist der älteste des Landes. Seit dem 14. Juli
2005 steht dieser Waldkomplex der Dong-Phaya-Yen-Bergkette auf der Liste des Weltkultur- und
Naturerbes der Menschheit der UNESCO. Dessen Aushängeschild ist der Gaur (Bos gaurus), die
grösste lebende Rinderart der Erde. Als Gayal ist er von Menschen auch domestiziert worden. Die
gesamte geschützte Fläche beträgt 6‘155 km2. Es sind vorwiegend Thailänder, welche das gebirgige
Schutzgebiet im Nordosten des Landes besuchen. Angenehmes Klima und eine vielfältige Tier- und
Pflanzenwelt locken die Menschen aus den Städten in diesen Urwald. Begegnungen mit wilden
Tieren sind hier so häufig wie kaum anderswo in Asien. Ausländische Gäste sind (noch) die
Ausnahme. Doch ein wachsender sanfter Ökotourismus ist Garant für ein verstärktes Umweltdenken.
Heimische Naturführer, Unterkunftsanbieter und Zulieferer stärken die Behörden in den schwierigen
Bemühungen zum Schutz der Restbestände wilder Asiatischer Elefanten, Indochinesischer Tiger,
Leoparden und rund 70 weiterer Säugetierarten. Rund 350 Vogelarten leben im Khao Yai Park,
darunter auch der etwa 130 cm grosse und rund 3 kg schwere Doppelnashornvogel (Buceros
bicornis).
Das Wissen um diesen Naturschatz lockte mich zusammen mit meiner Frau in den artenreichen
Dschungel. Wir fanden im niederländischen Fotografen Ton und seiner thailändischen Partnerin Tan
ein kompetentes und hochmotiviertes Leiterpaar. Die täglichen Exkursionen dauerten vom frühen
Morgen bis tief in die Nacht. Was wir an eindrücklichen Tierbegegnungen erlebten und mit Glück
auch vor die Kameralinse kriegten übertraf unsere kühnsten Erwartungen.
Kribbelige und seltene Begegnungen
Einige Begegnungen waren zugegebenermassen nicht nur spannend, sondern kribbelig! Die Blaue
Krait (Bungarus candidus) gehört zu den giftigsten Schlangenarten der Welt. Das Aug in Auge mit
einer Netzpython war ein besonderer Moment. Das sehr seltene Siamkrokodil sonnte sich
glücklicherweise auf der anderen Seite des Flusses. Die tiefen Spuren von Bärenkrallen in
Baumstämmen belegen die wendigen Kletterkünste von Malaienbären und Asiatischen
Schwarzbären. Selbst das Wissen, dass man hier auch Kobras, Leoparden, Asiatische Wildhunde und
Indochinesische Tiger antreffen könnte machte uns nicht sehr zu schaffen. Wir vertrauten der
kundigen Führung unserer Begleiter und wurden dafür mehr als belohnt.
Mit Glück konnten wir eine Gibbonfamilie längere Zeit beobachten. Die schwanzlosen Primaten sind
eine Schwestergruppe der grossen Menschenaffen, deren Arten wegen der Zerstörung der Wälder
gefährdet und bedroht sind. Serau-Bergziegen und Sambarhirsche, Warane und langschwänzige
Gleithörnchen, Flugechsen sowie eine Vielzahl von grossen Schmetterlingen und Libellen liessen uns
fast vergessen, dass wir uns nicht in einem Zoo befanden. Gegen Abend und in der Nacht traten
weitere Akteure aufs Tapet. Stachelschweine huschten ins Dickicht, Augen von Zibetkatzen
funkelten. Hundertausende von insektenfressenden Fledermäusen verliessen ihre Höhlen und
überzogen den Himmel wie riesige Starenschwärme. Der Tokeh, ein nachtaktiver Riesengecko (Gekko
gecko) mit einer Länge von bis zu 35 cm schnalzte seinen typischen Ruf.
Elefanten als Segen und Plage
Das Erscheinen eines wild lebenden Elefanten war der Höhepunkt unserer Safari. Doch das Beispiel
des hochverehrten Wappentiers von Thailand zeigt, wie schwierig das Nebeneinander von Wildtieren
und Menschen auch hier sein kann. Elefanten sind in Thailand seit Jahrhunderten Arbeitstiere, oft
auch Freunde. In vielen Gebieten sind die traditionellen Futterplätze und Wanderrouten der
Elefanten durch landwirtschaftliche Kulturen eingeengt oder belegt worden. Dies führt immer wieder
zu Konflikten zwischen der bäuerlichen Bevölkerung und Elefantenherden, die auf ihrer
Wanderschaft Felder plündern. Um die Tiere im Park zurück zu halten werden sie ausserhalb dessen
Grenzen manchmal verbrämt. Da sich die Dickhäuter mit ihrem Elefantengedächtnis sehr gut an
solche unliebsame Zwischenfälle mit Menschen erinnern steigt die Unfallgefahr mit den Wildtieren.
Jedes Jahr werden Menschen in Thailand von wilden Elefanten getötet, oftmals auch, weil sich die
Tiere auf ihren engen Wechseln von hinten und vorne eingeengt fühlen. In der freien Wildbahn leben
in Thailand noch ca. 1‘000 bis 1‘500 Dickhäuter, 200 davon im Khao Yai Nationalpark. Der
Fortbestand des Asiatischen Elefanten in der Wildnis wird durch die IUCN als „stark gefährdet“
beurteilt. Die Elefanten im neuen Gehege des Zürcher Zoos stammen aus dem Kaeng Krachan
Nationalpark. Er ist mit einer Fläche von über 2‘914 km2 der grösste thailändische Nationalpark und
liegt 200 km südwestlich von Bangkok an der Grenze zu Burma. Auch dort soll der Konflikt zwischen
Bauern und den Elefanten, die in Ananas- und Bananenplantagen eindringen entschärft werden.
Dazu wird ein Bestandesmonitoring aufgebaut. Die traditionellen Wanderrouten der Elefanten
zwischen den Schutzgebieten sollen geschützt und Korridore für deren Wanderung wieder
hergestellt werden. Auch Schutzzäune, kombiniert mit Wachposten und eine Sensibilisierung für die
natürliche Lebensweise der Tiere werden vom Zürcher Zoo finanziell mitgetragen.
Ihrer Lebensräume beraubt plündern Horden von Makaken ganze thailändische Dörfer. Sie holen sich
ihr Futter in ihren ehemals angestammten Gebieten und sind dabei ausserordentlich lernfähig.
Wildschweine und weitere Grosssäuger hinterlassen in den Plantagen oft eine Spur der Verwüstung.
Und es sind Wilderer, welche Elfenbein, Tigerpratzen und Nashörner auf dem chinesischen
Schwarzmarkt zu Gold umwandeln. Ein Rhinozeros wurde in Khao Yai seit Jahren nicht mehr
gesichtet.
Unsere solidarische Verantwortung
Wenn die Restbestände der Urwälder trotz vermeintlicher Anstrengungen schrumpfen wie die
Schollen der Arktis für die Eisbären, müssen wir uns fragen, ob wir in der Schweiz die von uns
mitverursachten globalen Probleme mit Geld, Ökotourismus und guten Ratschlägen lösen können.
Wie glaubwürdig können wir die Rahmenbedingungen für exotische Lieblinge von Zoologischen
Gärten und Zirkussen verbessern, wenn wir gleichzeitig zuhause Wölfe, Bären und Luchse abknallen?
Soll wirklich Sankt Florian die Fauna und Flora unserer Erde verwalten? Der Hund als treuester
Begleiter des Menschen stammt in direkter Linie vom Wolf ab. Der Bär wird in Andermatt, Hospental
und Wassen mit Stolz im Wappen geführt. Der Luchs schützt unseren Bergwald, indem er das
Schalenwild in Bewegung hält. Es ist nicht das physische Nationalbankgold, dessen Verlust es zum
Erhalt der Heimat zu verteidigen gilt. Es sind die wahren Schätze eines grandiosen Erbguts der Natur,
welche Gefahr laufen, grobfahrlässig geplündert, gejagt und vernichtet zu werden.







Erschienen im Urner Wochenblatt Nr. 34 vom 06.05.2015